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Lehrkrafturteile über das Verhalten ihrer SchülerInnen unterliegen häufig starken subjektiven Verzerrungen. Dies kann dazu führen, dass Verhaltensprobleme von SchülerInnen nicht erkannt werden und somit eine passgenaue und effektive Verhaltensförderung ausbleibt. Ungenaue Verhaltensurteile stellen das Resultat von unkontrollierten Informationsverarbeitungsprozessen, die durch den Einfluss von Heuristiken und Stereotypen verzerrt sind, dar. Kontrollierte Informationsverarbeitungsprozesse hingegen führen zu genaueren Verhaltensurteilen. Inwiefern derartige Verarbeitungsprozesse die Urteile von Lehrkräften beeinflussen und wie sich die Verarbeitungsmechanismen von Lehrkräften unterscheiden, wurde bislang ausschließlich für Urteile über akademische Leistungsmerkmale überprüft. Daher adressiert diese Studie folgende Fragestellungen:
(1) Gibt es einen Zusammenhang zwischen professionsbezogenen Merkmalen der Lehrkraft (Fachwissen, diagnostische Kompetenz) und der Genauigkeit ihres Verhaltensurteils? Wir erwarten einen positiven Zusammenhang zwischen professionsbezogenen Merkmalen und der Genauigkeit des Urteils.
(2) Unterscheiden sich Lehrkräfte mit hohen professionsbezogenen Merkmalen von jenen mit vergleichwesie niedrigen professionsbezogenen Merkmalen hinsichtlich ihrer Informationsverarbeitungsprozesse bei der Verhaltensbeurteilung? Wir erwarten, dass Lehrkräfte mit hohen professionsbezogenen Merkmalen eher kontrollierte Verarbeitungsprozesse nutzen.
An der Studie nahmen n = 84 Lehrkräfte teil. Die Lehrkräfte sahen jeweils zwei Videos von Unterrichtssituationen aus zwei verschiedenen Klassen einer Grundschule (jeweils fünf Minuten) ohne zu wissen, dass sie anschließend das Verhaltens bestimmter SchülerInnen beurteilen sollten. Unmittelbar nach Anschauen der Videosequenz wurden die Lehrkräfte aufgefordert das unaufmerksame, impulsive und hyperaktive Verhalten von jeweils einem Schüler bzw. einer Schülerin auf einer elfstufigen Likert-Skala zu beurteilen. Für beide Kinder lag ein Beobachtungswert von zwei geschulten und erfahrenen Beobachterinnen vor, der als Referenzwert für die Genauigkeit der Lehrkrafturteile genutzt wurde. Zusätzlich wurden die Response-Zeiten der Lehrkräfte sowie die Reproduktionen und Intrusionen der genutzten Informationen als Indikatoren für den Verarbeitunsprozess erfasst. Über Fragebögen wurde die diagnostische Kompetenz sowie das verhaltensbezogene Fachwissen der Lehrkräfte gemessen. Die Ergebnisse weisen erwartungskonform auf einen positiven Zusammenhang zwischen professionsbezogenen Merkmalen und Urteilsgenauigkeit sowie auf eine kontrollierte Systemnutzung bei Lehrkräften mit hoch ausgeprägten professionsbezogenen Merkmalen hin.